Anne-Pascale Posey ist seit bald zweieinhalb Jahren als Interim Coach für Swiss Interim Management (SIM) tätig. Sie ist auf die Begleitung von Managern bei der Entwicklung und Führung ihrer Teams spezialisiert. Ihre Arbeit unterstützt sowohl Führungskräfte in Unternehmen bei der Organisationsentwicklung und beim Mitarbeiterengagement als auch Einzelpersonen in beruflichen Krisensituationen und bei beruflichen Übergängen durch Video-Konferenz-Coaching. Ihre Erfahrungen und Fähigkeiten stammen aus ihrer Ausbildung als Sprachtherapeutin-Logopädin, Weiterbildungen im Management, im psychologischen Ansatz nach Adler und aus systemischer Perspektiven, Weiterbildungen in HR und Management. Mit ihrer Expertise in Bereichen wie Coaching, Training, Management, HR-Strategien und zwischenmenschlicher Kommunikation begleitet sie Unternehmen, soziale
Organisationen, Regierungsstellen und NGOs.
Wir trafen Anne-Pascale um über emotionale Intelligenz und Durchsetzungsvermögen zu sprechen.
Emotionale Intelligenz ist mehr als ein Karrieresprungbrett; sie ist einer der Schlüssel, um als Führungskraft resilient zu führen und die Organisation weiterzuentwickeln. Sie vereint das bewusste Erkennen und Regulieren eigener Emotionen mit der Fähigkeit, empathische Beziehungen zu pflegen und Teams inspiriert zu leiten. Im Bereich des Interim-Managements ist sie essenziell, um Anpassungsfähigkeit, blitzschnelles Umschalten und effektive Kommunikation zu meistern. Emotionale Intelligenz bildet mit ihren fünf Kernkomponenten – Selbstreflexion, Selbstkontrolle, Motivation, Empathie, soziale Fähigkeiten – die Grundlage für nachhaltig erfolgreiches Management.
Anne-Pascale, in einer Welt, in der die Art der Führung sich rasant weiterentwickelt, wie schaffen Führungskräfte den Spagat zwischen Empathie / emotionaler Intelligenz und Durchsetzungsvermögen?
Anne-Pascale Posey: Zuerst einmal ist es wichtig zu erkennen, dass Empathie und Durchsetzungsvermögen heutzutage sehr gut zusammen existieren können. Und es ist interessant zu beobachten, wie sich aktuelle Trends in der Führung herauskristallisieren, insbesondere in Bezug auf die Balance zwischen Empathie und Durchsetzungsvermögen. Wir sehen, dass diese beiden Aspekte immer wichtiger werden. Ein Beispiel, das mir in den Sinn kommt, ist Jacinda Ardern, die ehemalige Premierministerin Neuseelands. Sie demonstriert auf beeindruckende Weise, wie man sowohl empathisch als auch durchsetzungsstark sein kann, und das macht sie zu einem faszinierenden Beispiel für unsere Diskussion.
Ein Zitat von ihr das mich sehr inspiriert: «Ich konzentriere mich stolz auf Empathie, denn man kann sowohl empathisch als auch stark sein».
Mir ist es wichtig, die Relevanz dieser Themen zu betonen, da sie einen direkten Einfluss auf die Art und Weise haben, wie wir führen und wie unsere Führungskräfte wahrgenommen werden. Indem wir uns mit aktuellen Ereignissen und inspirierenden Führungspersonen wie Ardern beschäftigen, können wir besser verstehen, wie Empathie und Durchsetzungsvermögen in der Praxis angewendet werden können.
Ein weiteres inspirierendes Beispiel ist Faustine Bollaert , eine bekannte französische Journalistin, Radio und Fernsehmoderatorin die als beliebteste TV- Moderatorin ausgezeichnet wurde. Die Zuschauer mögen sie besonders für ihre ausgeprägte Empathie. Sie zeigt, wie Empathie in der öffentlichen Kommunikation wertgeschätzt wird, indem sie tiefe, respektvolle Gespräche führt, und Lösungsansätze sowie die Resilienz der Menschen betont.
Und das älteste Beispiel, das unsere Kultur prägt, ist eine Geschichte aus dem Neuen Testament. Sie erzählt von einem römischen Offizier hohen Ranges, der sich aktiv für das Wohlergehen seines Dieners einsetzte, als dieser krank wurde. Diese Geschichte gefällt mir, weil sie das Verantwortungsbewusstsein und die Fürsorge einer Führungspersönlichkeit zeigt, die sich nicht nur um ihre eigenen Angelegenheiten kümmerte, sondern auch um die ihrer Untergebenen. Und sie verdeutlicht auch die zeitlose Relevanz von Führungswerten und wie diese uns dazu inspirieren können, in unserer Position als Führungskraft Verantwortung zu übernehmen – um uns für das Wohl unseres Teams einzusetzen. Sie erinnert uns daran, dass Führung nicht nur eine Frage der Autorität, sondern auch der Menschlichkeit ist.
Das sind sehr gute Beispiele. Arderns Führung wurde weltweit gelobt. Aber wie genau kann man diese Balance in der Praxis umsetzen?
Anne-Pascale Posey: Es kommt darauf an, sein Gegenüber als wertgeschätzte Person zu respektieren. Es ist nicht nur ein Trend; es gibt echte Beispiele von Führungskräften, die mit Stolz Empathie und Durchsetzungsvermögen verbinden. Es geht darum, zuzuhören, zu verstehen und dennoch die eigenen Ziele und die des Teams klar vor Augen zu halten.
Ein zentraler Aspekt dabei ist das Konzept des Spiegelns. Indem wir unser eigenes Verhalten bewusst verändern, können wir einen signifikanten Einfluss auf das Verhalten unseres Gegenübers bewirken und so zu einer positiven Veränderung beitragen. Diese Technik ist besonders wirkungsvoll in Führungspositionen, wo das eigene Verhalten das Team inspiriert. Es zeigt, wie durch Empathie und angepasste Verhaltensweisen effektive Führung im Alltag integriert werden kann, um die Beziehungen und die Kommunikation innerhalb eines Teams zu verbessern.
Könntest du das Prinzip des Spiegelns etwas näher erläutern?
Anne-Pascale Posey: Natürlich. Spiegeln basiert auf der Idee, dass wir unserem Gegenüber zuhören, indem wir mit seinen Worten bestätigen, was wir verstanden haben.
Auch wenn wir zum Beispiel eine offenere, empathischere Haltung einnehmen, ermutigen wir unser Gegenüber, sich ebenfalls offener und vertrauensvoller zu verhalten. Dieser Ansatz ist besonders in der Führung wichtig, wo die emotionale Resonanz zwischen Führungskraft und Teammitgliedern die Teamdynamik und die Leistungsfähigkeit massgeblich konstruktiv beeinflussen kann.
Emotionale Intelligenz wird oft missverstanden und mit «Weichheit» verwechselt. Was würdest du dem entgegensetzen?
Anne-Pascale Posey: Empathie ist eine wertvolle Eigenschaft, die oft unterschätzt wird. Häufig wird immer noch gedacht, dass Empathie nutzlos ist, bis man selbst in schwierigen Situationen ist und die Bedeutung davon erkennt. Ich ermutige dazu, Empathie als eine Schlüsselkomponente der Führung zu betrachten, die dazu beiträgt, Verbindungen zu stärken und ein unterstützendes Umfeld zu schaffen, in dem jeder sein volles Potenzial entfalten kann. Und nur das macht Unternehmen doch wirklich erfolgreich, oder?
Persönlich wächst mein Respekt für Führungspersönlichkeiten, die Empathie zeigen, stetig. Denn Empathie ist mehr als nur eine emotionale Reaktion; sie ist ein Zeichen, das den Charakter und die Effektivität einer Führungspersönlichkeit schafft.
Wie schafft man es, Empathie effektiv einzusetzen und gleichzeitig ein gesundes Mass an Selbstreflexion zu bewahren, um nicht über seine Grenzen hinaus involviert zu werden?
Anne-Pascale Posey: Ein wichtiger Teil meiner Arbeit besteht darin, die Beziehungen, die man aufbaut, regelmässig zu reflektieren und zu überdenken. Es ist wichtig, den aktuellen Stand dieser Beziehungen zu verstehen, gemeinsame Ziele zu klären und auch persönliche Grenzen zu erkennen.
Besonders betone ich die Bedeutung klarer Grenzen. Es ist wichtig zu erkennen, wenn man in etwas, sagen wir, «hineingezogen» wird, das über die persönlichen oder beruflichen Grenzen hinausgeht. Diese Anerkennung und der Mut, meine Grenzen zu setzen, sind entscheidend für die Erhaltung der Integrität und meiner Selbstachtung sowie der Achtung unseres Gegenübers.
Wir können nur für unser eigenes Handeln verantwortlich sein und unser Bestes tun, um eine positive und unterstützende Umgebung zu schaffen, selbst wenn andere sich anders verhalten.
Es ist wichtig, die Bedürfnisse und Perspektiven beider Parteien zu berücksichtigen, ohne dabei die eigenen Grenzen zu vernachlässigen. Eine übermässige Anpassung kann zu einem Ungleichgewicht führen und letztendlich das Coaching-Ergebnis beeinträchtigen.
Daher ist es entscheidend, klare Grenzen zu setzen und Selbst- und Fremdachtung zu wahren. Nur so können wir eine gesunde Coaching-Dynamik aufrechterhalten und gleichzeitig unseren Coachee effektiv unterstützen.
Was ist dir besonders wichtig beim Coaching?
Anne-Pascale Posey: Ich ermutige Menschen oft dazu, mutig zu sein und neue Wege auszuprobieren, auch wenn sie Zweifel haben, ob etwas funktionieren wird. Eine Erfahrung, die ich immer wieder mache: Eine Person, die zunächst skeptisch war, wagte es, etwas Neues auszuprobieren, und gewann dadurch nicht nur mehr Selbstvertrauen, sondern auch Respekt und Einfluss in ihrem Bereich. Das zeigt, wie sich der Mut zum Ausprobieren von neuen Lösungsmöglichkeiten auszahlt.
Ich schätze die Offenheit neue konkrete Lösungswege zu gehen, denn sie führen nicht nur zu persönlichem Wachstum, sondern auch zu grösserem Respekt und mehr Anerkennung von anderen. Es ist wichtig, dass wir uns gegenseitig ermutigen, neue Wege zu gehen und auch mal Risiken einzugehen, denn nur so können wir wahre Veränderung und Innovation vorantreiben.
Hast du konkret jemanden in letzter Zeit gecoacht, der gemerkt hat, dass er an seiner emotionalen Intelligenz arbeiten muss?
Ja, in meiner Coaching-Praxis habe ich die Gelegenheit gehabt, viele engagierte und ehrgeizige Einzelpersonen zu unterstützen, die jedoch Schwierigkeiten hatten, effektiv mit ihren Teams zu arbeiten. Ein Beispiel ist eine Person, die ich begleitet habe und die bereit war, konkrete Schritte zu unternehmen, um ihren Managementstil zu verbessern.
Durch individuelles Coaching konnten wir konkrete Beispiele und Massnahmen identifizieren, die sie in ihrem täglichen Arbeitsumfeld umsetzen konnte. Diese praktischen Schritte führten zu spürbaren Veränderungen im Umgang mit ihrem Team und ihrer Führungskraft.
Ein wichtiger Aspekt war die Anpassung ihres Führungsstils an die verschiedenen Persönlichkeitstypen in ihrem Team. Sie erkannte die Bedeutung, jeden Mitarbeiter individuell zu führen und zu unterstützen, um das volle Potenzial des Teams auszuschöpfen.
Wie können Führungskräfte mit Kritik aus dem Team sinnvoll umgehen?
Es ist wichtig zu erkennen, dass selbst aus den schwierigsten Gesprächen etwas Gutes entstehen kann. Oft bieten sie die Möglichkeit für Wachstum und Veränderung, sowohl für uns selbst als auch für die Beziehung zu anderen.
Besonders in Krisensituationen kann es herausfordernd sein, an sich selbst zu arbeiten und voranzukommen. Dennoch ist es wichtig, durch Selbstreflexion und Durchhaltevermögen an seinen Zielen festzuhalten und trotz Schwierigkeiten weiterzumachen.
Letztendlich liegt es an uns selbst, wie wir mit Herausforderungen umgehen und wie wir persönliches und berufliches Wachstum fördern. Indem wir eine positive Einstellung bewahren und uns kontinuierlich bemühen, können wir auch aus den schwierigsten Situationen lernen und gestärkt daraus hervorgehen.
Wie viel Zeit sollte man einplanen, um Ergebnisse zu erzielen?
Ich betone immer wieder die Notwendigkeit von nachhaltigen Veränderungen durch Coaching. Es ist kein kurzfristiges «Kosmetik-Programm», sondern erfordert Zeit und Engagement. Daher empfehle ich mehrere Coachingsessionen, um dauerhafte Verbesserungen zu erzielen.
Als Coach muss ich flexibel und anpassungsfähig sein, um den individuellen Bedürfnissen meiner Klienten gerecht zu werden. Auch das benötigt Zeit. Insgesamt ist es mein Ziel, meinen Klienten dabei zu helfen, sich persönlich und beruflich weiterzuentwickeln und langfristige positive Veränderungen zu erreichen, die sie dann selbständig weiter ausbauen können.
Du bietest auch Notfallcoaching an. Kannst du das etwas näher erläutern?
Anne-Pascale Posey: Absolut. Notfallcoaching bietet Führungskräften die Möglichkeit, in herausfordernden Momenten Unterstützung zu suchen. Es geht darum, dass sie in Situationen, in welchen sie sich wie in einer Sackgasse fühlen, schnell mögliche Lösungen für ihre konkrete Situation finden können.
Empathie bewirkt Veränderung und Deeskalation. Dieses Prinzip wende ich auch an, wenn ich über das Notfalltelefon kontaktiert werde. Es braucht Mut, anzurufen. Meistens fühlt sich die Person, die angerufen hat, bereits besser, weil sie weiss, dass sie nicht mehr alleine ist, um eine herausfordernde Situation anzugehen. Sehr oft hat die Person, die angerufen hat, am Schluss des Anrufs konkrete konstruktive Handlungsschritte für ihre Notsituation im Gespräch herausgefunden. Sie fühlt sich dadurch bereits besser.
Zum Schluss, was würdest du Interim Managern raten, um die Balance zwischen emotionaler Intelligenz und Durchsetzungsvermögen zu finden?
Anne-Pascale Posey: Ich würde raten, aktiv Zuhörtechniken zu nutzen und offen für Feedback zu sein. Es ist wichtig, den Mut zu haben, schwierige Themen anzusprechen und gleichzeitig klare Ziele und Grenzen zu kommunizieren. Dies schafft nicht nur Vertrauen, sondern auch eine Arbeitsumgebung, in der sich alle wertgeschätzt und verstanden fühlen.
Vielen Dank, Anne-Pascale, für diese tiefen Einblicke und die praktischen Beispiele.
Anne-Pascale Posey: Es war mir ein Vergnügen. Danke, dass ich meine Gedanken teilen durfte. Ich freue mich auf unsere weiteren Gespräche.
Comments